Am 18. Februar 1969 greifen vier Terroristen der Palästinensischen Volksbefreiungsfront ein Passagierflugzeug der El-Al auf dem Flughafen Zürich-Kloten mit Maschinengewehren und Handgranaten an. Durch die Salven werden mehrere Passagiere und Besatzungsmitglieder teils schwer verletzt, der Pilot stirbt später im Spital. Ein israelischer Sicherheitsmann, der sich auf dem Flug befindet, tötet einen der Attentäter auf dem Parkplatz.
Der Anschlag war der Beginn einer mehrjährigen Krise, in der der Terrorismus die Schweizer Politik bestimmte. Im Februar 1970 sterben 47 Menschen bei einem Terroranschlag auf eine Swissair-Maschine über dem aargauischen Würenlingen. 1970 schliesslich werden die Kloten-Attentäter nach einer Flugzeugentführung nach Zerka in Jordanien freigepresst. Doch auch danach kommt die Schweizer Politik nicht zur Ruhe und die Verhinderung von weiteren Anschlägen bleibt eine Priorität der Bundesbehörden – mit nachhaltigen Folgen für die Schweizer Aussenpolitik, wie ich in dieser Artikelserie auf der Basis neuer Recherchen zeigen möchte.
Vieles davon ist in der Öffentlichkeit noch unbekannt. Wieviel, zeigt gerade auch der Fall des Kloten-Anschlags. In den zahlreichen Zeitungsartikeln und Fernsehbeiträgen zum Thema ist stets nur von vier Attentätern die Rede. Auch der NZZ Journalist Marcel Gyr, der 2016 ein Buch zum mutmasslichen Schweizer Geheimdeal mit der PLO veröffentlichte, und die offizielle «Interdepartementale Arbeitsgruppe», die die These untersuchte und zurückwies, scheinen nur diese vier gekannt zu haben.[1] Es gab jedoch noch weitere Personen, die von den Behörden verdächtigt wurden, am Anschlag beteiligt gewesen zu sein.
Der Journalist-Terrorist
Der wichtigste Lead war ein Mietwagen, den die Attentäter am Flughafen zurückgelassen hatten. Er war auf den Ägypter Saad Zaghlul Fuad (1924-2009) registriert, der sich zeitgleich mit den Attentätern in Zürich aufgehalten hatte.[2] Die Schweizer schrieben ihn via Interpol europaweit zur Fahndung aus. Mit Erfolg: Die Ermittlungsakte der Bundesanwaltschaft erhält mehrere Hinweise aus ausländischen Quellen. Bemerkenswert ist, dass Fuad nach dem Anschlag nicht untertauchte, sondern weiterhin in Europa als Journalist für ägyptische Zeitungen tätig war. Im März 1970 erfuhren die Schweizer, dass Fuad im Januar in Westdeutschland war, um über den Besuch des jordanischen Premiers zu berichten. Im Oktober desselben Jahres weilte er in Prag. Selbst über Buchprojekte und seine Adresse in Kairo waren die Behörden informiert.
Der letzte Hinweis stammt von September 1973. Fuad befand sich in England. Die neue Quelle sah in Fuad nicht mehr eine Nebenfigur, sondern identifizierte ihn als Sprengstoff-Experten und einer der Führungsfiguren des Anschlags. Die Schweizer Behörden fragten daraufhin nach dem aktuellen Aufenthaltsort von Fuad. In der Ermittlungsakte findet sich keine konkrete Antwort, sondern lediglich die Notiz «Beantwortet!» sowie die Bemerkung, dass Fuad seit dem Anschlag nicht mehr terroristisch tätig gewesen sei. War die Sache für die Schweizer Behörden damit erledigt, obwohl sich Fuad in Reichweite der Schweizer Justiz befand? Jedenfalls finden sich danach keine weiteren Hinweise zu Fuad in der Akte. Wie die anderen flüchtigen Attentäter von Kloten und Würenlingen wurde er nie strafrechtlich belangt.
Das Geständnis
Tatsächlich hielt sich Saad Fuad 1973 in London auf. Dort suchte er den prominenten griechisch-palästinensischen Orientalisten P. J. Vatikiotis auf, der an der School of Oriental and African Studies lehrte. In der englischsprachigen Autobiografie von Vatikiotis aus dem Jahr 1991 ist die Begegnung ausführlich beschrieben, im Laufe derer Fuad seine Beteiligung am Anschlag gestand.[3] Gut möglich, dass Vatikiotis selbst oder jemand aus seinem Umfeld die Quelle für den Nachrichtendienstbericht war. Dieses Treffen war nicht das einzige Mal, dass Saad Fuad über seine Rolle beim Anschlag redete. Zum ersten Mal tat er dies in Anfang der 1970er in einem Artikel der libanesischen Zeitschrift Al-Usbu al-Arabi. Ein weiteres Mal schildert Fuad den Anschlag in seiner arabischsprachigen Autobiografie von 2001.[4]
Saad Fuad scheint sich zu keinem Zeitpunkt seines Lebens davor gefürchtet zu haben, von der Schweizer Justiz zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wie Fuad in seiner Autobiografie schildert, kehrte er bald nach dem Anschlag nach Europa zurück und arbeitete dort als Frankreich-Korrespondent für verschiedene arabische Zeitungen. Zu Ende seines Lebens scheint die Geschichte in Ägypten zu einer Art Allgemeinwissen geworden zu sein und Saad Fuad erfuhr als «Märtyrer» der palästinensischen Sache Anerkennung. Als sein Sohn Khaled nach dessen Tod Israel besuchte und dafür kritisiert wurde, verteidigte er sich mit dem Hinweis auf seinen Vater.
Der Anschlag
Saad Fuads Autobiografie wirft ein neues Licht auf die Hintergründe des Anschlags. Die Palästinensische Volksbefreiungsfront (PFLP) startete 1968 eine Kampagne von Terroranschlägen und Flugzeugentführungen, um die Aufmerksamkeit der Welt auf die Palästinenser zu lenken. Waddie Haddad, der Kopf hinter den Anschlägen, informierte Fuad im Voraus über die geplante Aktion in Zürich und bat ihn, darüber zu berichten. Zugleich sollte er auch die Kalaschnikows und die Handgranaten für den Anschlag ins Land schmuggeln. «Sie sind nicht nur Journalist, sondern in erster Linie Guerilla…» hatte Haddad zu ihm gesagt.
Zu diesem Zweck reiste Fuad im Februar 1969 von Jordanien nach Zürich. Dank seinem Journalistenpass durchlief er den Zoll ohne Kontrolle. Am Flughafen sollte er das Gepäck einem gewissen Youssef übergeben, den Anführer der Terroristengruppe. Youssef war einer der Entführer des El-Al Fluges 426 nach Algerien im Jahr zuvor. Im Flughafenrestaurant, in dem sich die beiden trafen, befand sich zur selben Zeit auch eine El-Al-Besatzung und Youssef glaubte, sie hätten ihn wiedererkannt. Youssef reiste kurzerhand ab und gab Saad Fuad die Adresse des Hotels, in dem die vier anderen Attentäter übernachteten: Das Hotel Leoneck in der Nähe der Universität Zürich.
Die Gruppe bat Saad Fuad, sie mit seinem VW-Mietwagen zum Flughafen Zürich zu fahren, um das Gelände zu erkunden. Am Tag des Anschlags überredeten sie ihn, ihnen das Fahrzeug zu überlassen. Fuad flüchtete mit Hilfe der ägyptischen Botschaft in Bern in den Libanon. In einem Brief an PFLP-Generalsekretär Georges Habasch distanzierte sich Fuad vom Terrorismus, der zu viele Unschuldige treffe. Öffentlich kritisierte er eine Palästinensermiliz, die gleich wie die PFLP vom Irak finanziert wurde, wegen Korruption. Mitglieder der Miliz nahmen ihn daraufhin fest und folterten ihn brutal. Seine Freilassung und damit vermutlich sein Leben verdankte er schliesslich der Palästinenserorganisation Fatah unter Führung Yasser Arafats, die zu seinen Gunsten intervenierte. Fortan widmete sich Saad Fuad wieder hauptsächlich dem Journalismus.
Fehlendes Interesse der Justiz
In der Schweiz landeten die drei überlebenden Attentäter derweil im Gefängnis und schliesslich auf der Anklagebank in einem viel beachteten Prozess in Winterthur. Die Palästinenser und ihre Unterstützer verwandelten den Prozess in ein bisher ungesehenes Publicity-Spektakel und schüchterten die Schweizer Behörden mittels immer neuer Gewalt- und Boykottdrohungen ein. Mit Erfolg. Nach deren Verurteilung nutzen die Schweizer Behörden die Entführung mehrerer Flugzeuge nach Zerka im Herbst 1970, um die verurteilten Attentäter auszufliegen und sich damit des Problems zu entledigen.
Der Verdacht steht seit langem im Raum, dass es zwischen der PLO und der Schweiz zu Absprachen gekommen ist. Bislang konnte dies nicht klar bewiesen werden, doch die Unterlassungen im Fall Saad Fuad nähren ihn aufs Neue. Obwohl sich Saad Fouad jahrelang in Europa aufhielt und dies den Schweizer Behörden bekannt war, lebte er ein unbehelligtes Leben. Auch nachdem der Orientalist Vatikiotis Fuads Beteiligung am Anschlag 1991 in seiner Autobiografie erneut publik gemacht hatte, blieb das so. Dass eine Strafverfolgung Anfang der 1990er trotz Verjährung theoretisch noch möglich war, zeigt der Fall Würenlingen. 1995 eröffnete Bundesanwältin Carla del Ponte ein neues Strafverfahren gegen die Urheber des Anschlags, weil gemäss Strafgesetzbuch «erpresserische Drohungen gegen die schweizerischen Behörden» nicht verjähren.[5]
Das Verhalten der Schweizer Behörden wirft verschiedene Fragen auf. Wollten sie Saad Fuad möglicherweise gar nicht fassen? Oder wurde Fuad durch einen fremden Staat geschützt, z.B. Frankreich? In der Tat fehlen in den Akten bezeichnenderweise Informationen aus Frankreich, obwohl sich Saad Fuad dort nach eigener Aussage mehrheitlich aufhielt. Vorstellbar ist auch, dass die Schweizer Justizbehörden nach 1973 schlicht das Interesse an dem Fall verloren. Jedenfalls macht Saad Fuads bisher unbekannte Rolle in den Anschlägen klar, dass die Hintergründe der palästinensischen Anschlagswelle gegen die Schweiz noch lange nicht aufgeklärt sind.
Dr. Daniel Rickenbacher ist Historiker und Dozent am Seminar für Nahoststudien der Universität Basel, wo er zu den Beziehungen der Schweiz zum Nahen Osten forscht. Nächstes Jahr erscheint sein Buch über die Beziehungen zwischen der Schweiz und Ägypten während der Herrschaft Gamal Abdel Nassers (Arbeitstitel: «Im Schatten Nassers»).
Mitarbeit: Kacem el-Ghazzali. Danke auch an Dr. Adrian Hänni für die hilfreichen Kommentare.
[1] Marcel Gyr, Schweizer Terrorjahre: Das geheime Abkommen mit der PLO (Zürich, 2016); Interdepartementale Arbeitsgruppe 1970 Schlussbericht (Bern, 2016), https://www.eda.admin.ch/content/dam/eda/de/documents/publications/Geschichte/interdepartementale-arbeitsgruppe-1970_de.pdf.
[2] Bereits in meiner Masterarbeit von 2013 findet sich ein Hinweis auf Fuad Saad: Daniel Rickenbacher, The History of the Swiss Anti-Zionist Movement and its Connection to pro-Arab Networks: From the 1950s till the early 1970s“ (Universität Zürich, 2013). Die folgenden Informationen stammen aus der dort zitierten Akte der Bundesanwaltschaft.
[3] P. J Vatikiotis, Among Arabs and Jews: A Personal Experience 1936-1990 (London, 1991).
[4] Saad Zaghloul Fouad, Saad Zaghloul Fouad remembers: Memoirs of an Egyptian guerrilla (arabic) (Kairo, 2001).
[5] Zitiert nach Marcel Gyr, „Del Pontes seltsame Rolle im Fall Würenlingen“, Neue Zürcher Zeitung, 21. Januar 2016, https://www.nzz.ch/schweiz/carla-del-pontes-seltsame-rolle-im-fall-wuerenlingen-1.18680780.